Unter dem Begriff Depression (lat. deprimere = niederdrücken) sind eine Vielzahl von Störungen zusammengefasst, die durch eine gedrückte Stimmung, Freudlosigkeit, ein Gefühl der inneren Leere, Sinnlosigkeit oder auch Antriebslosigkeit gekennzeichnet sind. „Viele Patienten schämen sich aber, rechtzeitig zum Arzt zu gehen. Daher wird die Diagnose Depression oftmals sehr spät gestellt“, warnt Gerhard Steiner, MSc, Systemischer Psychotherapeut und Lebensberater im Gesundheitszentrum Seestadt, 1220 Wien.
Im Laufe des Lebens entwickelt rund ein Viertel der Menschen in Österreich irgendwann eine Depression. Die Dunkelziffer liegt hoch. Experten gehen aktuell rund 500.000 betroffenen Österreichern aus. Die Symptome und ersten Anzeichen werden aber auch oftmals von den Ärzten falsch gedeutet. Denn nur bei der Hälfte wird die Erkrankung auch erkannt und wiederum nur bei einem Viertel kommt es zu einer ausreichenden Behandlung.
Die Symptome einer Depression können sehr verschieden sein: Sie betreffen nicht immer nur das Gefühlsleben. Seelische Anzeichen sind Niedergeschlagenheit, gedrückte Stimmung, Sinnlosigkeit, Angst oder Verzweiflung. Aber es können auch körperliche Leiden als erste im Vordergrund stehen: Herzprobleme, Schlafstörung, Appetitlosigkeit, Kopfschmerzen, Darmprobleme, Rückenschmerzen. Bei Frauen wird eine Depression rund doppelt so häufig diagnostiziert. Das liegt einerseits daran, dass Männer deshalb seltener zum Arzt gehen, aber eine Depression zeigt sich bei Männern auch anders.
Gerhard Steiner: „Bei Männern besteht oft eine Tendenz zu aggressivem Verhalten. Die Symptome zeigen sich in erhöhter Reizbarkeit, Verstimmung, schnelles Aufbrausen, vermehrte Aggression oder Wutanfälle, Neigung zu Vorwürfen und nachtragendem Verhalten, erhöhter Risikobereitschaft, exzessiver Sportausübung, oder auch in Form von intensivem Alkohol- und Nikotinkonsum.“ Allerdings gibt es nicht die eine Ursache für eine Depression, wie es auch nicht ein einheitliches Bild an Symptomen gibt. Gerhard Steiner: „Experten sehen einen der Mitauslöser für den Anstieg von Depressionen in den Anforderungen der heutigen Leistungsgesellschaft, in der Erfolg zu den höchsten Werten zählt.“
In der systemischen Therapie werden die Zusammenhänge zwischen Fühlen, Denken und Handeln hergestellt sowie erweiterte Sichtweisen thematisiert. „Es kann einen guten Grund haben, warum man länger dauernde Phasen schlechter Stimmung, Angst, Freudlosigkeit, Niedergeschlagenheit oder Hoffnungslosigkeit erlebt“, so der Experte. Manchmal sind depressive Symptome auch nur Ausdruck normale Trauer, der Erschöpfung oder können als Signal verstanden werden, dass das gelebte Leben nicht mehr stimmt, dass eine Veränderung im Leben ansteht, ob im privatem Umfeld oder im beruflichen Kontext. Letztlich bietet die Depression aber auch die Chance auf Veränderung.
Bedürfnisse nach einerseits Nähe und Geborgenheit und andererseits nach Distanz und Trennung können als zentraler Konflikt angesehen werden. Dabei wird in diesem Konflikt während der depressiven Phase wie auch während der Symptomfreiheit nur die Seite der Nähe besetzt. Um andere Menschen nicht zu enttäuschen, werden Bedürfnisse nach Distanz nie offen gezeigt. Wünsche nach Abstand werden nur im inneren Rückzug gelebt. Das damit einhergehende und assoziierte Krankheitsbild gefährden somit nicht die Beziehungen zum Umfeld.
Der systemische Ansatz oder die Vorgehensweise kann in unterschiedlichen Settings vorgenommen werden – in psychotherapeutischen, paartherapeutischen oder familientherapeutischen Gesprächen oder Beratungen. Die Gespräche können aber auch im ambulanten oder im stationären Bereich stattfinden. Am meisten besteht jedoch der Wunsch nach Einzeltherapie, um sich von seinem familiären Umfeld unabhängiger zu machen. Gerhard Steiner: „In der systemischen Therapie geht man davon aus, dass normalerweise der Patient selbst entscheidet, was für ihn gut ist. Eine Behandlung kann nur dann hilfreich sein, wenn der Patient mit seinem Anliegen ernst genommen wird.“
Ein wesentlicher Aspekt zu Beginn der Therapie ist die Frage nach dem Krankheitskonzept des Klienten – ist die Depression ein schicksalhafter Umstand“ oder die normale Folge eines ungelösten Konfliktes. Wichtig ist die Frage nach der Lösung des Problems. Ist für den Betroffenen der Zustand der Depression, Antriebsarmut oder Schlafstörung unerwünschter und daher veränderungsbedürftig. Letztlich ist die systemische Therapie ressourcenorientiert. Gerhard Steiner: „Der Klient ist prinzipiell in der Lage, seine Probleme zu lösen und sich zu verändern. Er hatte jedoch bis jetzt gute Gründe sich nicht zu verändern. Eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Therapeut und Klient ist die Basis um nach neuen und besseren Lösungen zu suchen.“
Eine neutrale Haltung des Therapeuten ermöglicht dem Klienten, selbst Entscheidungen zu treffen. Der Klient wird als Mensch ernst genommen und respektiert. Man traut ihm zu, selbst den richtigen Weg für sich zu finden und Verantwortung für sich zu übernehmen. Gerhard Steiner: „Wenn sich das Denken und die Kommunikation auf die Depression eines Familienmitglieds einengen, kann man kann man ressourcenbezogen die Sichtweise eines sinnhaften symptomatischen Verhaltens anbieten, z.B. das Symptom als Fähigkeit, als Lösungsversuch für ein Familienproblem.“
Eine depressive Phase und die nachfolgende therapeutische Bearbeitung werden oft als unverstehbar erlebt. Der Klient erfährt Sinn, wenn er die Depression in der Auseinandersetzung mit dem Therapeuten biografisch einordnen lernt und für sich eine stimmige Lebensgeschichte konstruiert. Oftmals empfiehlt sich auch eine paradoxe Intervention: Störung unbewusster problematischer zirkulärer Prozesse – durch die Störung alter Muster erhält das Klientensystem eine Chance, neue und bessere Lösungen für die Probleme zu finden.
Buchtipp: Gerhard Dieter Ruf, Depression und Dysthymia, Störungen systemisch behandeln; Carl Auer Verlag, Heidelberg 2015; ISBN 978-3-8497-0078-2
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Webtipp: Club D&A (Depression und Angst); Hilfe zur Selbsthilfe
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