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Von der Einsamkeit aktiv verabschieden

Einsamkeit

Einsamkeit bezeichnet das Gefühl von Menschen, von anderen getrennt zu sein. Das Einsamkeitsgefühl bedrückt, es besteht Sehnsucht nach Veränderung. „Ein wichtiger Hinweis ist, dass in den seelischen oder sozialen Beziehungen etwas verkehrt ist, dass etwas fehlt und eine Neuerung oder eine Korrektur notwendig ist“, erklärt Gerhard Steiner, MSc, Systemischer Psychotherapeut Lebensberater im Gesundheitszentrum Seestadt, 1220 Wien.

Einsamkeit unterscheidet sich jedoch grundlegend von Alleinsein. Einsamkeit ist ein Gefühl, Alleinsein ein Zustand. Alleinsein ist ein Befund und kann mit den verschiedensten Gefühlen verbunden sein. Manche Menschen sind froh, wenn sie z.B. nach vielen Feierlichkeiten wieder die Möglichkeit haben, für sich allein zu sein. Auch nach einer beruflichen intensiven Phase mit vielen Terminen kann dieses Alleinsein durchaus positiv empfunden werden. Gerhard Steiner: „Diese Menschen erleben dies vermutlich wie eine Erfrischung. Aber sie fühlen sich nicht einsam!“

Einsamkeit oder Alleinsein

Aber es gibt ähnliche Situationen, wo Menschen allein sind, vielleicht weil sie alleine leben oder weil Freunde, Bekannte oder Familie nicht erreichbar sind. Das fühlt sich aber dann einsam an. Diese Menschen fühlen sich nicht unternehmensfähig, sind angespannt und unruhig, ziehen sich zurück und haben keine Lust oder Kraft, aktiv zu werden. „Vielleicht hadern sie mit sich und der Welt. Auf diese Weise kann man sich einsam fühlen, auch wenn man mitten unter Menschen ist“, so Gerhard Steiner.

In den Medien wird immer öfters von der großen Zahl an Vereinsamung in unserer Gesellschaft berichtet, manche dieser Beiträge finden sogar den Weg in die Hauptnachrichten.

Einsamkeit als leidvolles Gefühl

In einer Welt, in der man auf verschiedenster Weise ständig mit anderen Menschen verbunden ist, kann es doch nicht sein, sich einsam zu fühlen! Dieser Irrglaube herrscht oftmals in der Gesellschaft vor. Deshalb schämen sich Menschen manchmal schon im Vorhinein wegen ihrer Einsamkeitsgefühle und fühlen sich sogar schuldig dafür.

Formen von Einsamkeiten

Einsamkeitsgefühle nähren sich aus unterschiedlichen Zuständen und können differenzierte Formen annehmen.

Kontakteinsamkeit: Keine oder zu wenig Kontakte zu anderen Menschen sind für viele Alleinlebende belastend oder sie leiden darunter. Es gibt unterschiedliche Gründe dafür, z.B. an dem Ort, an dem sie leben, sind sie fremd, sind alt und gebrechlich oder kommen aus anderen Staaten. Manche haben sich nach Trennungen, Arbeitsplatz- oder anderen Verlusten zurückgezogen und kommen aus ihrer Enttäuschung, Frustration, Verletztheit oder Resignation nicht mehr heraus.

Freundschaftseinsamkeit: Aus wiederholten Begegnungen und Kontakten zwischen Menschen kann Freundschaft entstehen. Freundschaft beruht auf Gegenseitigkeit. Einander vertrauen können und in der Not sich auf den Anderen verlassen können, sind Voraussetzungen für eine stabile Freundschaft. Freundschaften geben Beständigkeit und bereichern das Leben. Wenn diese Freundschaften fehlen, können sich Menschen diesbezüglich einsam fühlen.

Intimitätseinsamkeit: Intime Beziehungen sind meist mit Sexualität verknüpft, es gibt sie aber auch ohne Sexualität. So wie es sexuelle Kontakte ohne Intimität gibt. In der Regel gilt, wer sich liebt, möchte nicht nur sein Leben miteinander teilen, sondern meist auch seine Intimität – körperlich ebenso wie intime Gedanken oder seelische Empfindungen. Wenn das fehlt, leiden Menschen an einer Intimitätseinsamkeit. Diese Einsamkeit hängt zumeist an einer Verunsicherung des Selbstbewusstseins als Frau oder Mann zusammen.

Bei Frauen können es z.B. sexuelle Übergriffe oder Gewalttaten in der Kindheit sein, verübt von engen Bezugspersonen. Und im Erwachsenenalter wird dadurch bei Berührung Ekel ausgelöst. In Folge ist die Identität als Frau in ihrer Entwicklung behindert. Bei Männern ist die Intimitätseinsamkeit ebenfalls oft mit einer Störung der Identitätsentwicklung verbunden. Sie kann sich hinter einem aufgeblasenem Macho-Gehabe verstecken wie auch hinter Schüchternheit oder Zurückhaltung. Neben Erlebnissen sexueller oder anderer Gewalt führen bei Männern vor allem Beschämungserfahrungen in die Intimitätseinsamkeit.

Herzenseinsamkeit: Die Herzenseinsamkeit betrifft den inneren Kern eines Menschen, besonders die Einsamkeit seiner tiefsten Gefühle. Oft beginnt diese Einsamkeit sich früh zu entwickeln, bei Männern z.B. das Gefangensein in Konventionen und deren Behinderung durch Ausdruck von Gefühlen. Immer ist die Herzenseinsamkeit mit Verlusten, Kränkungen, Verrat, Enttäuschungen oder ähnlichen Erfahrungen verbunden, gegen deren Schmerzen sich das Herz im Selbstschutz verschlossen hat.

Bindungseinsamkeit: Bei Kleinkindern unterscheidet man verschiedene Arten des Bindungsverhaltens – vor allem gegenüber der Mutter. Frühe Bindungsstörungen können später in Störungen der Bindungsfähigkeit münden und damit der Bindungseinsamkeit. Beispiele: Lodernde, dichte Begegnungen aber mit einem schnellen Ablaufdatum. Manche Menschen leben in der (Hölle) einer Ehe und gehen dem Partner/der Partnerin aus dem Weg, da die Beziehungsfäden zerrissen sind.

Rat und Unterstützung

Gerhard Steiner: „Wer an Kontakteinsamkeit leidet, braucht Kontakt. Wer Kontakteinsamkeit überwinden möchte, braucht Gelegenheiten, mit Menschen Kontakt aufzunehmen, und braucht den Mut, dies zu wagen. Zum Kennenlernen braucht es mehrere Schritte, beim ersten Schritt wird sich die große Liebe nicht sofort einstellen. Wenn man sich für jemanden interessiert, dann muss man aber auch sich ernst nehmen und diesem Impuls vertrauen.“

Für misstrauische Menschen kann das Verhalten Sinn machen, da es eventuell einen Schutzfaktor darstellt und sie vor neuem Leid bewahrt. Aber es gibt keinen Weg aus dem Misstrauen heraus, es gibt nur einen durch das Misstauen hindurch. Dazu muss man auf Entdeckungsreise gehen.

Gerhard Steiner: „Ein weiterer Schritt auf dem Weg aus der Herzenseinsamkeit besteht darin, das eigene Selbstwertgefühl zu stärken. Das wird natürlich nicht im Handumdrehen gelingen, aber man kann Aktivitäten setzen und so Erfahrungen sammeln.“ Wahrscheinlich brauchen diese Menschen mehr Rückmeldungen von Mitmenschen und es macht Sinn, diese Erfahrungen der Wertschätzung und Würdigung festzuhalten. Ein persönliches „Ressourcenbüchlein“ kann helfen, diese positiven Rückmeldungen zu erhalten und den Selbstwert zu stärken.

„Einsamkeitsgefühle sind auch etwas Vertrautes, bieten Sicherheit und manchmal so etwas wie heimelige Geborgenheit. Aber wer Einsamkeitsgefühle hinter sich lassen will, muss von ihnen Abschied nehmen“, so Gerhard Steiner.

„Ich habe nie einen so zuverlässigen Kumpanen wie die Einsamkeit gefunden.“

Henry David Thoreau

Buchtipp: Udo Baer, Gabriele Frick-Baer; Das ABC der Gefühle“; BELTZ Verlag 2018; Buch 190 Seiten; ISBN:978-3-407-85866-5

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